Polizeiverhör.
Ich sitze allein in einem abgedunkelten Raum. Das Rollo am Fenster ist hinuntergelassen und die Sonne kann nur durch ein paar Schlitze in den Raum hineinfluten. Es ist kalt. Ich habe Angst.
Die Tür wird aufgerissen und ich erschrecke mich. Vor mir steht ein Polizist. Nein, ich möchte nicht sagen, dass er unheimlich gut aussieht. Vielmehr schaut er mehr als gut aus. Dunkle Haare, ein knackige Figur, ein kleines Bärtchen um den Mund. Stahlblaue Augen. Atemberaubend sozusagen. Very kossilistisch leckerschmackofatzig. Auf seinem Namensschild steht „Ludger Hinrichs“ und an seinen Fingern befinden sich keine Ringe. Ludger… der Name passt so gar nicht zu ihm. Ich werde ihn Lou nennen. So nur für mich.
Lou (sehr souverän und respekteinflössend): „Frau Koßmann?“
Ich: (sehr verschüchtert): „Ja, das bin ich!“
Er setzt sich mir gegenüber auf einen Stuhl. Uns trennen jetzt nur 1,50 m echte Buche, die als Platte auf vier Beinen steht. Um nicht zu sagen, uns trennt nur ein Tisch. Seine blauen Augen scheinen mich durchdringen zu wollen. Er schaut mir tief in die Augen, beugt sich ein Stückchen näher zu mir herüber und ich habe das Gefühl, er würde mich küssen wollen. Spitzt er nicht den Mund? Kann ich nicht schon sein After Shave riechen?
SPOT!!!!
Es wird taghell und die Schreibtischlampe, die ich zuvor gar nicht gesehen habe, ist genau auf mich gerichtet. Lous Hand heftet noch an dem Schalter, zu dem er sich hinüber gebeugt hat. Damn!
Lou: „Dann wollen wir mal!“ Er lehnt sich zurück und schlägt einen Aktenordner auf, der vor ihm auf dem Tisch liegt.
Lou: „Wo waren Sie gestern Abend gegen 23:30 Uhr?“
Ich: „In meiner Wohnung.“
Lou:“ Kann das jemand bezeugen?“
Ich: „Nun ja, vielleicht meine Bücher… ähm.. oder meine Pflanzen… oder…. oder…“ Ich bin nervös, zaubere aber dennoch ein Lächeln aus meinem Kossi-Zauberhut.
Lou: „Frau Koßmann, das hier ist kein Kindergarten. Sie befinden sich in einer Polizeiwache und ich bitte Sie, den nötigen Respekt dafür aufzubringen!“
Schlagartig versiegt mein Lächeln und es brennt in meinen Augen. Ich will nach Hause. Das alles hier macht mir Angst.
Lou: „Also gibt es niemanden, der bezeugen kann, dass Sie gestern Abend zu Hause waren?“
Ich: „Nein.“ Ich blicke betreten auf meine Fingernägel.
Lou: „Was haben Sie zu Hause getan?“
Ich: „Also zuerst habe ich ferngeschaut. Dann ein wenig gelesen und dann mußte ich kurz etwas nach draußen in den Müll bringen.“
Lou: „Mitten in der Nacht?“ Er zieht eine Augenbraue hoch.
Ich: „Ja, denn mir fiel ein, dass ich morgens vergessen hatte, das Katzenklo sauber zu machen. Also tat ich es gestern Abend und brachte dann das Streu nach draußen in den Müll.“
Lou: „Okay. Was taten Sie dann?“
Ich: „Ich legte mich hin und versuchte, zu schlafen.“
Lou: „Und? Klappte es?“
Ich: „Nicht auf Anhieb. Ich grübelte sehr viel und pfiff dann nach meiner Katze, damit sie mir Gesellschaft leisten kann. Das ist so unser Ritual, wissen Sie? Ich pfeife, und sie kommt. Also, nicht dass sie denken, dass alle nach meiner Pfeife tanzen, aber es hat sich im Laufe der Jahre irgendwie so ergeben.“
Lou: „Und? Kam ihre Katze?“
Ich: „Nein. Aber das wunderte mich nicht, denn es passiert ab und zu, dass sie ihm Wohnzimmer auf ihrem Lieblingskissen liegt und es dann auch nachts bevorzugt, dort zu schlafen.“
Lou: „Hatten Sie in der Nacht eigenartige Träume?“
Ich: „Komisch, dass Sie danach fragen. Ja, ich hatte einen eigenartigen Traum. Jemand, den ich lange nicht gesehen habe, war auf einmal wieder da. Und es fühlte sich gut an. Ich war sogar ein wenig glücklich. Also im Traum. Als ich morgens aufwachte und feststellte, dass es nur ein Traum war, war ich wieder traurig, weil der Mensch, den ich vermisse, eben nicht wirklich da war. Wissen Sie, es ist nicht so leicht, wenn….“
Lou: „Frau Koßmann, Ihre Privatangelegenheiten interessieren mich erstens nicht und zweitens haben sie nichts mit diesem Fall zu tun!“
Ich schweige und begutachte erneut meine Fingernägel.
Lou: „Was taten Sie, nachdem Sie aufgestanden sind?“
Ich: „Das Übliche. Ich nahm meine Zahnbürste und putzte mir die Zähne, währenddessen ich den PC startete und sämtliche Rollos in meiner Wohnung hochzog.“
Er blickt mich erstaunt an.
Ich: „Multitasking, Sie wissen schon!“ Das ist wieder so ein Moment, in dem ich gerne grinsen würde, ich traue mich aber nicht, weil Lou mich eindringlich anschaut.
Lou: „Fiel Ihnen bei Ihrer Tätigkeit irgendwas auf?“
Ich: „Zu dem Zeitpunkt noch nicht. Aber als ich mit dem Zähneputzen fertig war, ging ich ins Wohnzimmer und öffnete die Terassentür.“
Lou: „Was ist daran so ungewöhnlich?“
Ich: „Eigentlich nichts. Aber das Geräusch des Öffnens erzeugt bei meiner Katze immer den Pawlow´schen Reiz, nach draußen auf den Balkon zu rennen. Was bedeutet, dass ich kurz nach dem Öffnen der Tür normaler Weise das leise Tappsen meiner Katze auf dem Laminat höre. Und mir fiel auf, dass ich es heute Morgen eben NICHT hörte.“
Lou: „Was taten Sie dann?“
Ich: „Ich wurd ein wenig panisch, weil ich Angst hatte, dass ich meine Katze abends auf dem Balkon vergessen hatte.“
Lou: „Sie sagen das so, als wäre dies nicht so unwahrscheinlich. Ist es Ihnen schon einmal passiert?“
Ich: „Ja, im Sommer passiert mir das öfter. Wenn ich die Tür schließe, versteckt sie sich manchmal so unter den Stühlen, dass ich sie nicht sehen kann. Aber bisher waren es immer nur ein paar Stunden, die sie draußen verbracht hat. Noch nie war es eine ganze Nacht!“
Lou: „Ihre Katze war also tatsächlich auf dem Balkon?“
Ich werde immer nervöser.
Ich: „Ähm.. nein. Ich ging raus, suchte nach ihr und pfiff, aber nichts passierte.“
Lou: „Was taten Sie dann?“
Ich: „Ich inspizierte die gesamte Wohnung, rief nach meiner Katze, schaute unters Bett, in den Schlafzimmerschrank, unter die Couch…. aber ich fand sie nicht.“
Lou: „Aber wo sollte sie hin sein?“
Ich: „Die gleiche Frage stellte ich mir auch. Deshalb überlegte ich die ganze Zeit, was ich gestern Abend getan hatte und ob ich sie vielleicht aus Versehen irgendwo eingesperrt hatte.“
Er blickt in seinen Aktenordner und blättert eine Seite um.
Lou: „Nun, Frau Koßmann. Von EINgesperrt kann hier ja jetzt auch keine Rede sein, was?“
Er hat so einen Blick drauf, wie Eltern, die ihre Kinder beim Rauchen erwischen und er jagt mir ein noch größeres, schlechtes Gewissen ein, als ich es ohnehin schon habe.
Wenn Lou nicht so unglaublich klasse aussehen würde, würde ich jetzt gerne mal meine rechte Hand vorstellen. Sie würde sich bestimmt gut mit seiner linken Wange verstehen. Stattdessen bin ich weiterhin kleinlaut.
Ich: „Ja, sie haben Recht!“
Lou: „Weil….?“
Ich: „Weil….“ Ich hole tief Luft. „Weil mir das mit dem Katzenstreu von gestern Abend einfiel.“
Lou: „Und….?“
Ich: „Und ich deshalb meine Wohnungstür öffnete.“
Ich muss schlucken, obwohl mein Mund trocken und mein Hals wie zugeschnürt ist.
Lou: „Was passierte dann?“
Ich: „Jerry saß auf…. “ Ich fange an zu schluchzen. „Jerry saß auf der Fußmatte, schaute mich mit riesigen Augen an und miaute, dass es mir das Herz zerbrach!“
Ich krame ein Taschentuch aus meiner Hosentasche und schnäuze hinein.
Ich: „Wissen Sie, allein der Gedanke, dass ich meine Katze die ganze Nacht kossiseelenallein im Hausflur habe sitzen lassen und und… und dass ich ihr Miauen nicht gehört habe… und wenn ich daran denke, dass sie sooooo eine Angst gehabt haben muss… dann… dann… wissen Sie, das tut noch mehr weh, als der Gedanke an den Typen, von dem ich Ihnen vorhin erzählte… der… der…..“
Er schaut mich verständnislos an.
Ich: „Na, der, von dem ich geträumt hatte… dass er wieder da ist…. also so wie Jerry es dann auf einmal war. Aber das mit Jerry tut mir viel mehr weh… weil es ja MEINE Schuld war…. Oh mein Gott, sie tut mir so unsagbar leid und ich….“ Ich schluchze.
Ich: „Ich habe sie sofort auf den Arm genommen und sie gedrückt und geküsst und gestreichelt und ihr dann einen Schuss Milch in ihr Wasser getan und ihr ein feines Nassfutter gegeben und ich habe sie immer wieder angeschaut und ich bin so dankbar, dass sie anscheinend keinen Schaden davon getragen hat. Das kann nämlich passieren, wenn man von jemandem getrennt wird, wissen Sie. Also nicht, dass ICH jetzt einen Schaden hätte.. also zumindest keinen, der größer wäre, als der, den ich ohnehin schon habe, aber….“
Ich bin total ausser Atem.
Lou: „Sie bekennen sich also schuldig?“
Ich: „Ja, in allen Punkten! Ich habe die Fürsorgepflicht meiner Katze missachtet. Ich hätte dafür Sorge tragen müssen, dass sie mir Nachts nicht in den Hausflur folgt. Wenn ich die Tür hinter mir geschlossen hätte, wäre es nicht passiert und ich hätte Jerry diese schreckliche Nacht nicht antun müssen!“
Lou grinst amüsiert.
Lou: „Nun… dann wären Sie aber auch nicht hergekommen und hätten eine Selbstanzeige aufgegeben!“
Hä?
Ich: „Ähm.. ja… nee… also natürlich nicht.“
Er zwinkert mir zu. Wie jetzt?
Lou: „Dann hätten wir beide uns wohl nie kennen gelernt.“
Ach so, das.
Ich: „Guuut kombiniert.“
Lou: „Und dann könnte ich Sie auch nicht fragen, ob ich Sie für heute Abend zum Essen einladen dürfte.“
Jetzt fehlen mir die Worte. Ich zögere einen Moment.
Ich: „….“
Lou: „????“
Ich: „Ja.. also… gerne!! Aber….“
Lou: „Aber?“
Ich: „Ich muss erstmal Jerry fragen, ob sie mir den Stubenarrest erlässt, den sie mir aufgelegt hat!“
Wir grinsen. Beide.
Und als ich nach Hause komme, erzähle ich Jerry davon. Sie verkriecht sich unters Bett zu dem Buch, in welchem sie aktuell liest und ruft „Jetzt benutzt du mich schon dafür, um Kerle kennen zu lernen!“
Hach… wann wird sie endlich verstehen, dass SIE und echt NUR sie immer mein Ein und Alles bleiben wird. Egal, wie oft ich noch vergesse, sie in die Wohnung zu lassen und egal, wie oft ich noch von irgendjemandem zu irgendwas eingeladen werde?
Ich liebe meine Katze!! Und ich schwöre, dass alles in dieser Geschichte sich genau SO abgespielt hat. Okay… nur Lou… den gibt es nicht wirklich. Aber das schlechte Gewissen habe ich tatsächlich und es wird auch noch ein paar Tage dauern bis es weg ist. Und den Traum…. den hatte ich auch. Alles andere nennt man wohl künstlerische Freiheit.
Jerry, es tut mir leid! Ich hab dich so lieb! Ehrlich! auch wenn es für dich heute Nacht mit Sicherheit nicht so aussah 🙂