Tee ist schlecht für die Seele – Isa-Schwärzenbach-Kolumne
Ich habe festgestellt, dass Teetrinken nicht gut für die Seele ist. Klingt blöd oder? Is aber so! Zumindest wenn es sich um MEINE Seele handelt.
Also, es verhält sich so, dass mein ehemals neuer Freund, jetzt Ex-Freund, Paul, vor 3 Tagen mit mir Schluss gemacht hat. Nach genau 7 Wochen und 6 Tagen! Genau EINEN Tag vor unserem 2-monatigen Jubiläum! Das war mein persönlicher Rekord der letzten 5 Jahre! Ich hatte mich sooooo auf den Tag gefreut. Schon seit 3 Wochen hatte ich Paul vor alle Schmuckschaufenster der Stadt gezerrt und immer ganz nebenbei erwähnt, welche Schmuckstücke ich besonders toll finden würde. Ich glaube nicht, dass ich ihn damit genervt habe. Ich war ganz vorsichtig. Ich weiß schließlich, wie man Männer behandeln muss. Man muss sie in Watte packen. Nicht so die Hammer-Methode, sondern immer schön sanft ins Ohr säuseln „Schau mal Schatz, die Kette sieht aber toll aus oder? Du sag mal, sollen wir heute Abend mal etwas früher ins Bett gehen?“ So klappt das schon! Definitiv! IMMER! Ich kenn mich aus!
Und nun erdreistet sich dieser Kerl doch tatsächlich, einen Tag vor dem Wahnsinns-Event einfach mit mir Schluss zu machen! Ich leide wie ein Nagellack unter höchster Fingerbeanspruchung und komme aus dem Weinen eigentlich kaum noch raus. Ich hatte echt gedacht, es könnte was Ernstes werden mit ihm und mir, aber leider reichten seine Gefühle doch nicht aus, um es mit mir, Isabell Schwärzenbach, aufzunehmen. Ok, ich gebe zu, dass ich nicht gerade ne „easy-going“-Frau bin und sehr zickig sein kann. Aber deshalb sofort Schluss machen? Ich finde, er hätte sich definitiv mehr Mühe geben können, in die Abgründe meiner Seele zu tauchen. Oder zumindest hätte er mir den Platin-Ring mit dem zauberhaften Rubinstein aus dem Juweliergeschäft am Markt kaufen können! Dann hätte ich jetzt wenigstens eine Erinnerung an ihn!
Na ja, das hab ich nun also davon. Eine Woche ist es nun her, dass er durch meine Wohnungstür gegangen ist und nicht mehr wiederkam. Hätte er auch gar nicht, denn ich hab die Tür direkt nach ihm so sehr zugeschlagen, dass sich das Schloss irgendwie verkeilt hatte und ich selber nicht mal mehr rauskam. Ich musste den Schlüsseldienst anrufen und die netten Männer retteten dann mich, meine Katze Cleo und mein Leben. Mein Herz aber konnten sie nicht retten. Das war zweifelsohne gebrochen.
Ich vermisse Paul so sehr, dass ich seit jenem Abend nur noch mit dem niedlichen kleinen Stoffhund, den er mir am ersten Abend geschenkt hatte, ins Bett gehe. Ich habe eine Schlaftechnik entwickelt, in der ich es tatsächlich schaffe, den Hund in die linke Hand zu nehmen, einzuschlafen, mich zu drehen und zu wenden und morgens wenn ich aufwache, hab ich den Hund immer noch in der Hand. Fragen Sie mich nicht, wie ich es schaffe, aber ich bin stolz drauf! Ich wünschte, Paul würde es sehen!!
Der kleine Hund roch immer nach ihm. Sobald er seinen Duft verlor, musste Paul ihn an seinem Hals reiben und so das After Shave damit abwischen. Mhhhh… ich liebte sein Parfüm! Er schenkte mir irgendwann ein Miniatur-Fläschchen davon, aber ich traue mich momentan nicht, daran zu riechen. Ich glaube, ich würde so was von irre werden, dass ich das Fläschchen austrinken würde!! Aber davon würde ich wohl eher sterben und das will ich nicht, denn ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Paul doch noch mal eines Tages vor meiner Tür steht. Mit dem Rubinring versteht sich.
Ich habe heute bereits 2 Familienpackungen Papiertaschentücher verbraucht und sieben Telefonakkus leertelefoniert um meine Freundinnen auf dem Laufenden zu halten. Zum Glück hat mein Telefon die „Anklopf-Funktion“. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn Paul genau in dem Moment anrufen würde, wenn ich mit meinen Mädels quatsche.
Der Fernseher läuft 24 Stunden am Tag, aber ich schaue gar nicht hin. Ich habe ihn nur an, weil ich mir einbilde, dass mir dadurch wärmer wird. Denn seitdem Paul sich nicht mehr bei mir meldet, ist mir ständig kalt. Die Heizung steht auf volle Pulle, aber ich habe eiskalte Hände und Füße. Eng an den Fernseher gekuschelt, um die Wärme der Bildröhre wenigstens an meinem Rücken zu spüren, sitze ich mit einer Tasse heißem Tee auf dem Boden und starre Löcher in die Decke, bis es wahrscheinlich eines Tages durchregnen wird.
Erwähnte ich bereits, dass ich leide?
Ich versuche, irgendwie die Zeit totzuschlagen. Ich weiß zwar noch nicht bis wann, aber versuchen kann ich es ja trotzdem. Ich starre das Telefon an. „Klingel! Los! Ruf mich an Paul und sag mir, dass Du mich vermisst und Dir ein Leben ohne mich nicht mehr vorstellen kannst! Frag mich nach meiner Ringgröße und setz Dich ins Auto und komm hier her! Heirate mich, mach mir zwei süße kleine Kinder und schließe mit mir zusammen einen Bausparvertrag ab!!“
Aber das Telefon klingelt nicht. Da ich keine Lust habe, länger alleine zuhause rumzusitzen, rufe ich meine drei besten Freundinnen an und bitte sie, auf einen Kondolenzbesuch vorbeizukommen. Die drei zögern nicht lange. Sie kennen das schon! Wenn Isa Liebeskummer erleidet, ist ihr Wohnzimmertisch voll mit Schokolade, Weingummi, Chips und Erdbeershake! Ein wahres Fest für meine Freundinnen. Ok, dafür müssen sie sich mein Geheule anhören und mir regelmäßig neue Papiertaschentücher reichen, aber ich glaube, das ist nur fair. Nur diesmal wird es anders sein!!
Ich nutze nämlich die Gelegenheit, meinen Liebeskummer mit einer Diät zu verbinden. Man sagt doch immer, dass man durch ein gebrochenes Herz keinen Hunger mehr hat und dann sehr viel abnimmt! Da ich in den letzten Jahren mit Sicherheit 3 bis 4 kg zugenommen habe, ist es nun Zeit, endlich etwas daran zu ändern. Denn vielleicht hat Paul ja auch Schluss gemacht, weil ich ihm zu fett bin, nur hat er sich nicht getraut, es zu sagen. Sicher hat er an die Gefahren gedacht, die Übergewicht während einer Schwangerschaft mit sich bringen kann und wollte mich vor diesem Unheil bewahren. Oh, wie sehr ich diese soziale Ader an Paul doch liebe!!
Eine Stunde später trudeln meine Freundinnen ein. Mit ernsten Minen betreten sie das Wohnzimmer, bleiben jedoch abrupt stehen und starren ungläubig auf den Couchtisch!
„Ich denke, Du hast Liebeskummer!“ bemerkt Antje ganz verdutzt, während Sabine sich bückt, um unter den Tisch zu schauen. Sybille schaut fragend von einer zur anderen
„Habe ich auch! Aber diesmal eben anders!“
„Jetzt ist sie total durchgedreht“ murmelt Sybille, während sie sich durch den Stapel Tee auf meinem Tisch wühlt.
„Was bitteschön ist das?“ fragen alle drei fast gleichzeitig.
„Tee“. Ich zucke mit den Schultern. Als wenn sie noch nie Tee gesehen hätten! Jedes Kind weiß, wie Tee ausschaut!
„Ja, schon, aber Du trinkst doch sonst nie Tee!“ Antje kann anscheinend kaum glauben, was sie da sieht. Auf meinem Tisch stapeln sich ca. 250 verschiedene Teesorten. Alle schön nach ihren Geschmacksrichtungen sortiert. Und farblich natürlich, denn das Auge trinkt schließlich auch mit.
„Ich nehme ab! Und das geht nun mal am besten, wenn man so gut wie nichts isst, dafür aber Unmengen von Tee trinkt! Habe ich neulich noch in einer Frauenzeitschrift gelesen! Möchte jemand ein Tässchen?“ lächle ich die drei Grazien an.
Ungläubig reichen sie mir ihre leeren Tassen und ich schenke frischen Erdbeer-Minz-Tee ein.
„So, und jetzt lenkt mich ab! Das Drehbuch kennt Ihr ja bereits!“ lache ich. Nicht umsonst sind die drei seit mittlerweile Jahrzehnten meine Trösterinnen.
Wie auf Kommando öffnen sie ihre Taschen und holen Kataloge heraus. Klamotten, Schuhe, Schmuck, Elektrogeräte, Haarfärbemittelchen, Augenbrauenfarbe, dekorative Kosmetik…. Alles ist dabei, was eine Frau so zum Wohlfühlen braucht.
Sie schaffen es tatsächlich, meine Tränen zu trocknen. Ich lache mit ihnen, stöbere in den Katalogen, lasse mich schminken und…. Und ich trinke Tee! Heute schon meine vierte Kanne.
Der Nachteil, wenn man viel trinkt, ist sicherlich die Tatsache, dass man dementsprechend oft auf die Toilette muss. Das ist nun mal so und genau das ist ja auch gut für den Fettabbau. Oder? Ich meine, so habe ich das gelesen. Die Fettmoleküle nehmen dann Reißaus, weil sie sich nicht mehr im Körper halten können. Da der Tee heiß ist, schmelzen sie, gelangen so in den Darm und werden dann halt ausgespült. Natürlich versuchen die Moleküle noch, sich an den Hüften und am Bauch zu halten, aber das schaffen sie nicht, weil sie ja flüssig werden.
Ich verstehe nicht, dass andere Frauen wahnsinnige Diäten durchleben, wo doch an sich nur Tee der Schlüssel des Ganzen ist!!
Da ich schon lange genug angehalten habe, renne ich schließlich aufs Klo, schließe die Tür hinter mir und lasse den Tee seinen normalen Werdegang zu Ende gehen. Und das dauert.
Ich sitze also nun so rum, lasse mindestens 4 Liter Tee inkl. Fettmoleküle in die Kanalisation ab und bin plötzlich wie erstarrt. Die Miniaturflasche von Pauls Parfüm steht genau gegenüber auf dem Badewannenrand. Die ganze Zeit habe ich nicht an ihn gedacht und auf einmal ist er präsenter als je zuvor. Ich fange an zu weinen und benutze die halbe Klopapierrolle um meine Nase zu schnäuzen. Ich vermisse ihn. Ich vermisse seinen Humor, sein Lachen, seine Küsse, die Geborgenheit, die er mir gab, wenn er mich abends im Bett in den Armen hielt. Ich vermisse die Filme, die wir zusammen gesehen haben, ich vermisse die Luft, die er neben mir geatmet hat, ich vermisse sein Zähneknirschen und ich vermisse die Träume, die er mit mir geträumt hatte. Ich bin nur noch ein Häufchen Elend, als ich das Badezimmer verlasse.
Sofort kommen Sybille, Antje und Sabine auf mich zugestürmt und betüddeln mich mit ihren Mitbringseln.
„Willst Du nicht doch ein paar Süßigkeiten essen?“ fragt Sybille endlich.
„Nein, danke. Das, was ich brauche, ist Tee! Unmengen von Tee!“ Ich will schlank sein! Für Paul! Für mich! Für unsere Kinder!
Nach einer weiteren Kanne muss ich wieder aufs Klo. Die Mädels haben mich inzwischen wieder schön hergerichtet und ich lache über ihre Witze. Ich habe so richtig Spaß, mit meinen drei Hühnern rumzualbern und habe den Alltag um mich herum ganz vergessen.
Ich öffne die Badezimmertür, setze mich aufs Klo und…. Sehe die Miniaturflasche. Sehe Paul. Sehe sein lichtes Haupthaar. Sehe seine frisch geputzten Schuhe. Sehe seine Füße, die er dick mit Fußcreme eingerieben hat und um die nun Gefrierbeutel kleben. „Das macht die Füße so schön weich“ sagte er, als ich ihn das erste mal in dieser Montur ertappte. Das muss man sich mal vorstellen! Ein Mann, der eine Fußmaske macht!! Und so einen habe ich verloren!! Ich sterbe gerade. Vor lauter Sehnsucht. Mein Herz zerreißt in 1000 Einzelteile.
So geht es den ganzen Abend. Ich trinke Tee, lasse mich von meinen Freundinnen aufmuntern, renne zum Klo und versinke dort in Selbstmitleid. So kam ich zu der Erkenntnis, dass Tee einfach nicht gut für meine Seele ist! Denn hätte ich keinen Tee getrunken, hätte ich nicht so oft Wasserlassen müssen. So hätte ich die Parfümflasche nicht so oft gesehen und vor allem nicht so oft an Paul gedacht. Scheiß auf die Fettmoleküle! Meine Seele ist wichtiger! Obwohl ….
Papperlapapp! Tee ist nicht gut für meine Seele. Basta!
Was Paul wohl gerade macht? Ich stelle mir vor, wie er gerade seelenruhig in seinem Bettchen liegt, mit den Zähnen knirscht und tief und fest schläft und nicht mal an mich denkt. In drei Tagen hat er mich sicherlich sogar schon komplett vergessen. Na ja, und genau diese Gedanken treiben mir dann wieder die Tränen in die Augen. Also schnell nach oben gucken, mit den Wimpern klimpern und die Tränchen wieder wegdrücken. Aber es klappt einfach nicht.
Je mehr ich trinke, desto mehr muss ich Pippimachen und desto mehr denke ich an ihn. Teufelskreislauf. Nur was will ich in erster Linie? Genau! Schlank werden! Oder zumindest nicht mehr so dick sein. Damit Paul zurückkommt und sich keine Gedanken mehr machen muss, ob ich eine Schwangerschaft auch mit Übergewicht überstehe.
Also: Weiter trinken! Und abnehmen! Und ab und zu an Paul denken! Zählen Tränen eigentlich auch zum Flüssigkeitsverlust? Dann müsste ich ja mittlerweile ganz schön was weniger auf der Waage haben.
Mach ich mir etwa zu viele Gedanken? Ja aber hallo?? Was soll ich denn sonst machen? Etwa abwarten und Teetrinken???? Oups… ja, das ist genau das was ich mache. Jetzt weiß ich auch, woher dieses Sprichwort kommt!
Irgendwann schmeiße ich meine Freundinnen raus und gehe ins Bett. Leider kann ich nicht durchschlafen, denn meine Blase treibt mich auch nachts aufs Klo. Während ich meinen Seelenmördertee ausscheide, laufen mir die Tränen die Wangen hinunter. Ich bin am Ende.
Irgendwann in den frühen Morgenstunden sitze ich auf dem Klo und habe die Parfümflasche in der Hand. Ich schnuppere daran und traue mich dann irgendwann tatsächlich, sie zu öffnen. Paul ist da. Er steht direkt neben mir und ich rieche ihn! Aber er ist nicht wirklich da, es ist nur diese beschissene kleine Flasche, die mir das Leben zur Hölle macht! Ach nein, es ist der Höllentee, der mich in den Wahnsinn treibt!! Ich muss damit aufhören.
Kein Tee mehr, keine übermäßigen Toilettengänge, kein Paul, kein Liebeskummer, kein Leben, keine Isabell Schwärzenbach. Ich bin verloren.
Mit dem Rücken am Fernseher, ohne Tee in der Hand, starre ich weitere 759 Löcher in die Decke. Mein Leben ist sinnlos. Paul ist weg. Meine Liebe ist weg. Ich bin ganz alleine. Ich habe mindestens 25 kg in der letzten Nacht verloren, aber was bringt es, wenn Paul nicht da ist, um mich so zu sehen?
„Piep piep“
Mein Handy. Eine SMS. Ich schaue nach und muss doch tatsächlich wieder weinen. Diesmal aber eher vor Lachen. Es ist eine SMS von Paul:
„Hallo Isa! Ich habe viel über uns nachgedacht. Hast Du vielleicht Lust, Dich heute Nachmittag mit mir auf einen Tee zu treffen? Ich vermisse Dich!“
Na, darauf trink ich doch erst mal ein Tässchen Seelentröstertee!!
Eure Isa…. wie Pisa, nur ohne P
© Andrea Koßmann