Man kann nicht alles in seinem Gehirn speichern, was man in einem ganzen Leben erlebt. Und es gibt viele Dinge, die man direkt nach dem Erleben wieder vergisst. Oder vergessen möchte. Es kommt halt auf die Umstände an.
Und dann gibt es klitzekleine Momente im Leben, die einen an eigentlich kleine Dinge erinnern, die aber aus der Entfernung betrachtet zu etwas ganz Großem werden. So geschehen in meiner kleinen Welt am heutigen Morgen, als ich mir mein Frühstück machte.
Gestern Abend kaufte ich dafür ein kleines „Berliner Landbrot“. Das hatte ich sooooo lange nicht mehr gegessen, ich wusste aber noch genau, dass ich es immer sehr mochte. Und als ich heute morgen dann in die Schnitte biss, kamen längst vergangene Erinnerungen hoch….
Ich war als Kind sehr oft bei meinen Großeltern. Ich habe es geliebt. Ich habe SIE geliebt. Mein Großvater zeigte mir die Natur im hauseigenen Gemüse- und Kräutergarten, ließ mich beim Memory und Kartenspielen gewinnen, gab mir einen riesigen Lottoscheinstapel, auf denen ich Kreuzchen machte, damit ich Samstags Abends so tun konnte, als hätte ich selber auch Lotto gespielt. Und da ich „Michel aus Lönneberga“ so toll fand, gab er mir ein stumpfes Messer und ließ mich damit stundenlang im Gartenstall Holzfiguren schnitzen. Er erkannte darin sogar Soldaten, Feen und Hexen. Auch, wenn es sich am Ende eigentlich nur um ein komisch aussehendes Stück Holz handelte.
Meine Oma vermittelte mir die Liebe zum Lesen. Ich habe sie immer bewundert, wenn sie während der Mittagsruhe in ihrem Lesesessel saß und Arztromane las. Ich nahm mir auch immer so einen Roman zur Hand und kam mir so verdammt erwachsen vor, als ich mit 8 oder 9 Jahren dann genauso las wie meine Großmutter. Auch, wenn ich sicher kein Wort aus diesen Romanen verstand.
Und als ich dann heute morgen in die Scheibe Brot biss, kam mir eine ganz besondere Erinnerung wieder in den Sinn. Früher war es so üblich, dass meine Großeltern in der Küche eine alte Couch stehen hatten. Diese wurde abends auseinandergeklappt, damit ich darin (gut verpackt unter einem wahnsinnig schweren Federbett, dass ich nie raufziehen konnte, wenn es mir nachts mal von der Couch rutschte) schlafen konnte.
Morgens stand mein Opa immer zuerst auf und ich tat immer so, als würde ich noch schlafen. Ich hielt meine Augen geschlossen, aber meine Ohren waren hellhöriger, als alles andere. Und ich liebte diese Geräusche. Ich liebte es, wenn er eine leere Kanne auf die Spüle stellte, einen Filter in ein Plastikgehäuse packte, er mit dem Plastiklöffel in der Kaffeedose kramte, um das Pulver rauszulöffeln und dieses dann in den Filter zu geben.
Und ich liebte das Geräusch, das entstand, wenn das Wasser mit dem Tauchsieder darin im Topf kochte und er es nach dem Kochen nahm und langsam in den Filter schüttete. Ich sog den Kaffeeduft auf (und ich verstehe nicht, dass ich bis heute keinen Kaffee mag, obwohl ich ihn soooo gerne rieche) und ich wusste, dass der nächste Griff erneut zum Tauchsieder gehen würde, mit dem er mein Wasser für den Carokaffee zeitgleich zum Kochen bringen würde.
Ich liebte die Geräusche, die er machte, wenn er die Frühstücksbrettchen auf den Tisch legte, die Messer daneben, dann die Tassen, dann die Butter und dann die Marmelade. Und dann… erst dann…. öffnete ich meine Augen und begrüßte ihn um ihn dabei zu beobachten, wie er mit einem riesigen Brotmesser die Scheiben vom Berliner Landbrot abschnitt, um sie auf die drei Brettchen zu legen…. für mich, meine Oma und für sich.
Ich liebte es… als Kind…. und es macht mich melancholisch und traurig… heute… denn meine Großeltern sind schon lange tot und ich vermisse sie sehr…. aber es sind die schönen Erinnerungen, die bleiben und ich bin dankbar, dass es für mich diese schönen Erinnerungen gibt…. auch, wenn man meint, man hätte sie längst vergessen…. eine Scheibe Brot kann der Auslöser dazu sein…. eine Kleinigkeit, die etwas ganz Großartiges bewirkt….










10 Kommentare
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Liebe Andrea!
Danke für diesen wunderschönen Tagebucheintrag!
Und danke dafür, dass Du andere daran teilhaben lässt!
Vor nicht einmal einer halben Stunde habe ich Bilder meiner Großeltern sortiert, die in einem Fotobuch neu erstrahlen sollen…
…auch mir kamen dabei fast vergessene Erinnerungen meiner Kindheit in denn Sinn.
Und jetzt lese ich Deinen Eintrag und bin zu Tränen gerührt!Deshalb habe ich mir erlaubt, mich auch einmal in Dein Tagebuch zu schleichen… zum DANKE sagen..
Es ist zauberhaft, was Du mit Worten anstellst!
Liebe Grüße Christiane
Ich kann mich meiner Vorschreiberin nur anschließen.Auch ich habe Tränen in den Augen dank dir.Und auch ich habe ähnliche Erinnerungen,an dich gerade denken muss.
Susi
Mensch Kossi, jetzt hast du mich wirklich zum Weinen gebracht. :o) Vielen lieben Dank für diesen wunderschönen Blog-Eintrag.
GLG, Tam
Ich hab auch grad ein paar Tränen zerquetscht. Zum einen, weil ich meine Großeltern auch soooo vermisse und zum anderen weil ich so vieles in deiner Geschichte so gut nachvollziehen kann. Mein Opa war der einzige Mensch, der mir bisher gesagt hat: „Ich mag dich so wie du bist“, und das werd ich ihm nie vergessen, genausowenig wie dass er wirklich alles für mich gemacht hätte, ein Wort und er wäre den Mond pflücken gegangen. Und meine Oma war der wichtigste Mensch meiner Kindheit, Bücher lieben, nicht nur lesen, das habe ich von ihr gelernt. Und ich hasse es so sehr, dass sie es nicht mehr erleben durften, mich frei und erfüllt zu sehen.
Danke für deine Erinnerungen, die auch meine wieder auffrischen. Was wäre wir ohne die Menschen, die uns geliebt haben?
lg Claudia
Ich sitze hier und frühstücke meinen Obstsalat, der nun ein wenig salzig schmeckt (ohne Kommentar). Deine Erinnerungen haben mein Herz berührt und meine Kindheit ein Stück weit wieder aufleben lassen. Wie meine Großmutter leise pfeifend zusammen mit mir Malbücher ausgemalt hat und viele kleine Erinnerungen mehr. Durch deinen Eintrag ist mir auch die Hoffnung gekommen, dass mein Sohn sich später mal liebevoll an seine Kindheit erinnert. Vllt. sogar beim Aufschneiden eines frischen Graubrotes, dass er so liebt….
Vielen Dank, liebe Andrea, dass du uns an deinen Emotionen so teilhaben lässt und wir dadürch auch wieder fühlen….
lg Sandra
Wouh. Ich hatte richtige Gänsehaut und habe direkt mal den Moment zum Brille putzen genutzt …
Ich habe solche Erinnerungen an meinen Opa – der leider letztes Jahr gestorben ist – und ich liebe es, mich an meine Ferien, die immer ein wenig Abenteuer für mich waren, zu erinnern.
Ich hoffe, dass meine Kinder (wenn ich mal welche habe), dass auch mal von ihren Großeltern sagen werden …
Liebe Grüße,
Nicki
Ein sehr schöner, poetischer Text.
Aber ich gebe zu, dass ich wohl die einzige hier bin, die vor sich hinlächelt. *räusper*…
Ich muss nämlich die ganze Zeit schon an Michels Kopf in der Suppenschüssel denken! 🙂 Letzten Herbst borgte ich eine Michel-dvd in der Bücherei aus und schaute sie ein paar Mal mit meinem 7jährigen Neffen und meiner Mutter. Eine frische Erinnerung zwar, aber bestimmt auch unvergesslich.
Schönen (Lese-)Abend,
Doris
Meine Oma (bei der ich aufgewachsen bin), hatte auch eine Couch in der Küche stehen. Und ein schweres Federbett, eine Heizdecke und all das habe ich geliebt. Mir ging es da ähnlich wie dir Kossi, all diese vertrauten Geräusche von zuhause, die Gerüche, diese spezielle Wärme, die vom Kohleofen kam…Erinnerungen die sofort total präsent wurden, als ich deine Gedanken dazu las. Mich stimmt vor allem traurig, dass man diese Momente nicht festhalten kann, alles vergänglich ist, wenn auch tief im Herzen verankert.
LG Petra
In NY ist es am schlimmsten. Das war der Lieblingsplatz meiner Oma. Als wir vor vielen Jahren im Taxi zum Flughafen saßen, da hat sie geweint und gemeint, jetzt hat sie es zum letzten Mal gesehen. Und ich hab gesagt Unsinn, wir kommen bald wieder. Und da bin ich wieder. Und sie hatte es wirklich zum letzten Mal gesehen. Ach, solche Erinnerungen sind hart…
lg Claudia
Kossi, danke!
Ein wunderschöner berührender Eintrag!
Da geht einem sowohl das Herz auf, aber es weint auch ein bisschen.. auch ich konnte mir ein paar Tränen nicht verkneifen.
Da kommen selbst so einige schöne Erinnerungen hoch.. 🙂 Hihi, damals stand bei meinen Großeltern ein kleines Holzpferd auf der Kaffeemaschine (da steht es auch heute noch bei meiner Großmutter) und mein Opa versicherte mir immer ganz groß, wenn ich mal den Kaffee zubereiten durfte, dass der Kaffee ohne das Holzpferd darauf dreimal nicht so gut schmecken würde… hihihi 🙂